Nun ist sie also wieder eine Moschee: die Hagia Sophia oder Aya Sofiya, wie sie auf Türkisch heisst. Die vergangenen fünfundachtzig Jahre war sie ein Museum, mit jährlich 3,7 Millionen Besucherinnen, das meistbesuchte in der Türkei. Eine lächerlich kurze Zeit der säkularen Nutzung, gemessen an den fast fünfhundert Jahren, die sie im Osmanischen Reich den Musliminnen und davor gar neunhundert Jahren den Christinnen als Gebetsstätte diente. Man könnte also sagen, nach einem Mini-Unterbruch in ihrer über 1400-jährigen Geschichte ist dieses gewaltige und symbolträchtige Bauwerk wieder seinem ursprünglichen Zweck zugeführt worden, nämlich dem, dass darin Menschen beten. So weit so problemlos, könnte man denken. Doch die heftigen, sehr unterschiedlichen Emotionen – Freude auf der einen Seite, Wut auf der anderen – lassen ahnen, dass es komplizierter ist. Gebaut wurde die Hagia Sophia als Hauptkathedrale des christlichen Byzanz bzw. Konstantinopel, dem heutigen Istanbul. Ihr ursprünglicher Zweck, so reklamieren die Einen, war nicht, dass irgendwelche Menschen dort beten sollten, sondern christliche. Muslime gab es damals im 6. Jahrhundert natürlich noch keine, und die ansässigen Juden waren unter christlicher Herrschaft eher geduldet denn respektiert und hatten ohnehin ihre eigenen Gebetsstätten. Die Grössen- und Machtverhältnisse haben seither geändert. Die Hagia Sophia war stets und ist bis heute vor allem Symbol für Macht und Herrschaft. Wer sie beansprucht, beansprucht symbolisch auch den Sieg über die Anderen. Sie als Museum zu nutzen, war also ein Akt salomonischer Weisheit, ein Kompromiss, mit dem alle leben mussten und konnten, bis vor kurzem. Die «Reconquista», die der türkische Staatspräsident hier vollzieht, wird im Westen schon fast als Kriegserklärung gegen das Christentum aufgefasst. Das erstaunt umso mehr, als dass die Hagia Sophia vor allem ein Repräsentationsgebäude des orthodoxen Christentums war und zweitens, weil sich die westlichen Nationen seit dem 18. Jahrhundert freiwillig mehr und mehr von ihrer christlichen Identität und dem Einfluss der Kirchen gelöst haben. In der muslimischen Welt wird die neuerliche Nutzung als Moschee einen kurzfristigen Effekt haben, weil die damit verbundene Symbolik leer und daher nur eine Täuschung ist. Nichts vom Glanz, von der Grösse und Zivilisiertheit vergangener Epochen wird durch diesen Akt auch nur ansatzweise in die islamische Welt zurückgebracht, nicht in Zeiten, in denen die Menschen dort nicht wissen, wie sie den nächsten Tag überleben werden. Intakte Krankenhäuser, Schulen und zu Essen, nicht die «Rückeroberung» von Symbolbauten, ist das, was die Menschen brauchen. Doch Symbolpolitik mit Sakralbauten gibt‘s auch auf der anderen Seite: Die «Mezquita» (Moschee) von Cordoba in Spanien wurde im 8. Jahrhundert von den arabischen Einwanderern als Hauptmoschee erbaut und diente während über vierhundert Jahren als muslimische Gebetsstätte. Nach der Reconquista wurde sie 1236 zur christlichen Kathedrale geweiht. Auf das Minarett wurde das Kreuz gesetzt. Seither ist es Musliminnen verboten, dort ihr Gebet
zu verrichten, ob allein oder in Gemeinschaft. Hüben wie drüben wäre zu hoffen, dass dereinst etwas mehr heilige Weisheit herrschen würde, denn das bedeutet der Name «Hagia
Sophia».
Erschienen als Kolumne in der AZ (Solothurn, Olten, Grenchen) am 28. Juli 2020
© Amira Hafner-al Jabaji 2020
Präsidentin des Interreligiösen Think-Tanks