Stellungnahme des Interreligiösen Think-Tanks zur politischen Debatte um ein Burka-Verbot in der Schweiz
Es war absehbar: Nachdem die Anti-Minarett-Initiative vergangenen November unerwartet hohe Zustimmung in der Bevölkerung fand, war klar, dass sich das Thema «Islam» – und damit alles, was ihm zugeschrieben wird – exzellent als ahlkampfthema und Profilierungsmöglichkeit für Politikerinnen und Politiker eignet. Es geht darum, sich für die nationalen Wahlen 2011 in Pole Position zu bringen und Themen zu besetzen, die angeblich «das Volk bewegen». Dass dabei aber diffuse Ängste in der Bevölkerung erst geweckt oder verstärkt werden, wird von Politikern in Kauf genommen – ohne Rücksicht darauf, was für das gesellschaftliche Zusammenleben damit angerichtet wird.
Dabei wird in der gleichen Manier wie bei der Minarett-Debatte verfahren: So wie die Definitionsmacht bezüglich der Bedeutung der Minarette einseitig bei denen lag, die sie verbieten wollten, weil sie darin ein Symbol für den politischen Machtanspruch des Islam sahen, so wird auch jetzt von den Initianten eines Verbots behauptet, die Burka sei ein Symbol des Islam und stehe für die Unterdrückung der Frau. Und weil es in den Islamdebatten nicht mehr um Tatsachen, sondern fast nur noch um Meinungen und Emotionen geht, kommt der Widerlegung dieser pauschalen Behauptung kaum noch Gewicht zu. Dann kann es geschehen, dass jeglicher Realitätssinn abhanden kommt und ein paar wenige Burkaträgerinnen in der Schweiz zu einem Problem hochstilisiert werden, das mit einem gesetzlichen Verbot geregelt werden soll. Dies zeigt, dass auch hier, wie bei den Minaretten, eine Symbol- bzw. Stellvertreterdiskussion geführt wird, die «Minarett» oder «Burka» sagt, dabei aber auf den Islam und die Muslime als Ganzes zielt. Und wieder soll damit ein Zeichen gesetzt werden – aber wofür? Für eine Schweiz, die sich ihrer Identität mittels Verboten versichern will? Die ihre liberalen, demokratischen und rechtsstaatlichen Traditionen mehr und mehr verrät? Die sich von ihrem konstruktiven Umgang mit Minderheiten verabschiedet?
Die «Argumente» der Befürworter eines Burkaverbots bzw. eines gesetzlichen Verbots
des Ganzkörperschleiers und was davon zu halten ist:
Die Burka ist ein Sicherheitsrisiko
Wenn es um ein Sicherheitsrisiko geht, das durch die Unkenntlichkeit des Gesichtes entsteht, dann muss die Diskussion auch tatsächlich darüber geführt werden! Man könnte ein Vermummungsverbot auf öffentlichem Grund einfordern und verlangen, dass die visuelle Erkennbarkeit und Identifizierungsmöglichkeit gewährleistet sein muss. Auch für Angestellte im öffentlichen Dienst reichen die jetzigen Bestimmungen. Es bedarf, wenn überhaupt, einer positiven Gesetzesformulierung und keines Burka-Verbots.
Die Burka ist ein Symbol der Dominanz des Mannes und der Unterdrückung der Frau
Wenn es um die Unterdrückung der Frau geht, dann muss die Diskussion auch tatsächlich darüber geführt werden! Das heisst: Dann muss konsequent das Selbstbestimmungsrecht jeder Frau an oberster Stelle stehen. Das beinhaltet, dass eine Frau sich selbstbestimmt gegen jegliches von aussen auferlegte Kleiderdiktat wehren kann und allein entscheidet, wie sie sich im öffentlichen Raum präsentiert. – Genauso wie dies auch für Männer gilt.
Kleidervorschriften dürfen nicht Sache des Staates sein.
Jede Burkaträgerin als unterdrückte Frau zu klassifizieren, sie nur als Opfer von männlicher Dominanz zu sehen und ihr jegliche Autonomie abzusprechen, ist eine einseitige paternalistische Sichtweise. Ein Burka-Verbot trifft überdies die Falschen: Bestraft wird mit dem Verbot die «unterdrückte» Frau und nicht der Mann als «Unterdrücker». Wo Frauen aber – egal welcher Religion – von ihren Männern in ihren (Selbstbestimmungs-)Rechten verletzt werden, hat das bestehende Strafrecht durchzugreifen.
Die Ganzkörperverhüllung verletzt die Würde der Frau
Wenn es um die Würde der Frau geht, dann muss die Diskussion auch tatsächlich darüber geführt werden! Dann muss es um die Würde aller Frauen in unserer Gesellschaft gehen, nicht nur um die Würde von Musliminnen. Dann müssten die Befürworter eines BurkaVerbots genauso die feministische Kampagne gegen Sexismus in der Werbung, gegen die Pornografisierung von Frauenkörpern zu Werbezwecken, unterstützen und sich mit aller Vehemenz für ein Gesetz gegen den Frauenhandel stark machen. Nicht nur der Zwang zur Verhüllung verletzt die Würde von Frauen, sondern ebenso die Objektivierung von Frauen zu Sexobjekten und der Zwang zur Enthüllung, wie er in unserer Gesellschaft zur Normalität geworden ist.
Die Burka gefährdet unsere Kultur und unsere kulturellen Werte
Wenn es um die Angst vor Verlust der eigenen Kultur, der eigenen kulturellen Werte geht, dann muss die Diskussion auch tatsächlich darüber geführt werden! Dann müssen wir als Gesellschaft darüber nachdenken, wer wir sind und was uns wichtig ist. Dann sollten wir die Ängste vor dem Anderen, Fremden und Ungewohnten benennen und nach ihren Ursachen suchen. Dabei stellt sich allerdings die Frage, von welcher Schweiz und von welchem Islam die Rede ist, wenn behauptet wird, Minarette, Frauen mit Schleier und der Islam insgesamt seien grundsätzlich nicht mit der Schweizer Gesellschaft und Wertelandschaft zu vereinbaren. Es muss darüber diskutiert werden, wer die Definitionsmacht über den Islam beansprucht und wer das Schweizerhaus für sich reklamiert, in dem wir alle wohnen.
Es gibt für die Schweizer Gesellschaft viele Fragen rund um die eigene Identität in Zeiten von Globalisierung, Finanzkrise und multikulturellem Zusammenleben, die nicht gelöst sind. Sie mit einem Burka-Verbot auf dem Rücken einiger weniger muslimischer Frauen lösen zu wollen, verschleiert die wahren gesellschaftlichen und politischen Probleme und ist mit Sicherheit der falsche Weg.
- Mai 2010
© Interreligiöser Think-Tank. Basel, 11. Mai 2010/ Stellungnahme des Interreligiösen Think-Tanks zur politischen Debatte um ein Burka-Verbot in der Schweiz – als PDF.